Brief vom 11. Mai 1830 [beendet 13. Mai 1830]

Von: Pückler-Muskau, Lucie von (1776–1854)
An: Carolath-Beuthen, Adelheid von (1797–1849)
Ort: Berlin
Datum: 11. Mai 1830 [beendet 13. Mai 1830]
Umfang: 1 Br. 2 Bl.
Standort: Pückler-Archiv Branitz, Kasten 6, Mappe 58
Signatur: NPCH.ACLP30.016
Betreff: Besuch bei Rahel Varnhagen

Beschreibung

Meine Mische! Gestern abend war ich bei Fr. v. Varnhagen. An der Seite des Sopha, auf einer Commode eine Wase mit einem Kranz, davor: stand dein Bild; und nur Haare, Stirn und Augenbrauen waren zu sehn! Aber so trefflich sprach dieses die liebe Ansehnlichkeit aus, daß mir ganz himmlisch zu Muthe war, und ich blickte und dachte immer an dich, als wärst du gegenwärtig. Ja grade so, zum Theil verborgen, dünkte mirs, als du wärst mit dort, und in einer andren Unterhaltung aufmerksam oder auch unser Gespräch zuhörend, aber persoenlich da nur durch Zufall, etwas zurückgezogen, oder durch jemand andres halb verborgen. Mische, ich glaube auch wirklich du bist anwesend gewesen - und was mir nur sehr leid that, war, daß du nicht zuletzt mit mir nach Hause fuhrst als ich weg ging! - [...] Wir sprachen gestern viel von Hof und Stadtton! Ersterer ist der ächte Typus alles steifen, gehaltlos-erstorbenen, menschenfeindlichen, langweiligen, kalten eklichen! Ex.ex.ex. Der Tugendtstolz macht sie hart und sie sind in masse, wie dem Magen das Unverdauliche. Du weist nach Lottgen nach Neaple, die Gr. Malzahn nach Hamburg und Hanovre kömt. Kleist Hofjägermeister, Voss Mundschenk ist. Schilden erhält wahrscheinlich die garderobe. [...] Die Varnhagen hat himmlisch viel Verstand., Henriette Sontag hat Lucie in Othello gesehen, wünscht sich, dass Adelheid zu dem Wettrennen hier her kommt, soll in die Stadt kommen: Glaube mir, das Landleben ist das Vorzühlichste: allein mann thut gut, von da aus sich in jeder Relation des Wissens, des Umgangs, und desjenigen Vertraut und Bekanntbleiben zu erhalten, was [durch] täglichen Wechsel ansteht und entsteht. Ich habe geschworen, nie wieder so lange in der Einöde sitzen zu bleiben, denn der Geist wird dich einseitig, alt und traurig! Selbst den seinen erscheint man zwar noch theuer, und mit den Haupteigenschaften und Grundzügen des Charakters, immer gleich werthvoll: doch wie unter einer trüben Glas Glocke gestellt. Komme also her meine Mische - es soll dir nicht gereuen!, wenig Kosten, benötigt kaum Möbiliar, will am 5tn August nach Kissingen reisen, dankt dem Fürsten, dass sie in seinem Palais wohnen darf, Tivoli ist sehr interessant, reist am nächsten Tag nach Holstein ab.